Rede von Jüdisch Antikolonial bei der Demonstration in Zürich am 27.01.24
Categories: Antisemitismus
Wir stehen heute hier, jüdisch und anti-kolonial als jüdische Antizionist*innen, um unsere Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung und für eine palästinensische Freiheitsbewegung auszusprechen.
Es zerbricht uns das Herz, heute, am internationalen Holocaust-Gedenktag hier stehen zu müssen, um klar zu stellen, was eigentlich schon lange klar sein sollte.
Nicht TROTZ, nein genau WEGEN des Gedenktages an die Shoa, wollen wir unseren Kampf für Menschlichkeit und Gerechtigkeit am heutigen Tage auch den Palästinenser*innen widmen. Die mit unzumutbarer Resilienz, seit 75 Jahren Besatzung, Vertreibung und Genozid erleiden müssen. Seit 112 Tagen erleben sie eine intensive Zuspitzung der Gewalt, die sofort gestoppt werden muss. Unsere Gedanken sind bei allen unschuldigen Zivilist*innen, die durch die israelische Armee, durch die Siedlergewalt und durch die Hamas getötet oder verletzt wurden und unter den grausamen Bedingungen und Symptomen der israelischen Besatzung leiden.
Wie viele hier mitbekommen haben, hat die GRA (Gemeinschaft gegen Rassismus und Antisemitismus) eine Stiftung, die vorgibt gegen Rassismus und Antisemitismus einzustehen, eine Strafanzeige gegen unsere Genoss*innen des PKZ eingereicht, die heute diese Demonstration organisiert haben.
Unter dem Deckmantel des Antirassismus diffamiert die Stiftung die Forderung nach einem freien Palästina. Sie wirft dem PKZ vor, die Öffentlichkeit zu täuschen, weil auf dem Flyer “from the river to the sea” auf Arabisch geschrieben steht. Sie wirft dem PKZ vor, damit ausgerechnet heute – am internationalen Holocaust-Gedenktag – gegen jüdische Personen zu hetzen. Diese rassistische Verleumdung macht uns wütend! Wer nicht erkennt, dass ein Ruf nach Freiheit in der Muttersprache viel kräftiger ist als in einer fremden, hat von Antirassismus nichts verstanden. Und wann, wenn nicht heute, am Holocaust-Gedenktag, an dem die Welt dem Leid gedenkt, das auch unsere jüdischen Familien erlitten haben, sollten wir uns dagegen wehren, dass weitere Menschen aus rassistischen Motiven ermordet werden.
Wir stehen hier, weil wir uns gegen diese Versuche, die Bewegung zum Schweigen zu bringen, wehren wollen. Wir stehen hier, weil wir nicht wollen, dass unser Kampf gegen Antisemitismus instrumentalisiert für rassistische Zwecke missbraucht wird.
Dass die GRA und breite Teile der Medienlandschaft den Ruf nach Befreiung zwischen Jordan und dem Meer als Gewaltandrohung gegen Jüdinnen*Juden verstehen wollen, in dem Moment in dem Palästinenser*innen in der Westbank und vorallem in Gaza ganz real und akkut von ethnischer Säuberung und Genozid betroffen sind, ist eine niederträchtige Umkehrung der Tatsachen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die GRA die antisemitische Verknüpfung aller jüdischer Menschen mit dem israelischen Apartheidsstaat reproduziert - und so verstärkt. Diese Haltung der GRA und der bürgerlichen Politik und Medien impliziert , dass es einen unüberbrückbaren Widerspruch gibt zwischen palästinensischer und jüdischer Freiheit. Das ist rassistisch, sowohl gegenüber Palästinenser*innen als auch gegen jüdischen Personen.
Wir haben nicht vergessen und werden nie vergeben. Die Nazis waren keine Ausserirdischen, sie waren der deutsche Staat und einfache Bürger:innen.
Von dieser Schuld kann sich niemand reinwaschen. Diese Schuld wird nie verjähren.
Wir möchten an diesem Gedenktag ausserdem dem Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia Raum geben. Wir sehen dies als den Vorläufer des Holocausts. Die Methoden mit welchen unsere Vorfahren und Familien ermordet wurden, wurden an der schwarzen Bevölkerung Afrikas getestet.
Wir gedenken heute allen ermordeten Personen vom Holocaust. Wir denken auch an alle diejenigen die damals ihr Zuhause und ihre Geliebten verloren haben und traumatische Erlebnisse durchmachen mussten. Wir gedenken an die mutigen Personen und Untergrund Strukturen, welche Widerstand geleistet haben, welche Aufstände organisiert haben oder Menschen auf der Flucht unterstützt haben.
Und gedenken, heisst eben genau, aus der Geschichte zu lernen!
Gedenken bedeutet nicht nur leere Worte und komfortable Versprechen, um sich der europäischen Schuld auf die Schulter zu klopfen!
Gedenken bedeutet, zu handeln und sich radikal der Gerechtigkeit zu verschreiben! Gedenken bedeutet, um jeden getöteten Menschen gleich zu trauern!
Gedenken bedeutet, sich mit Menschen auf der Flucht zu solidarisieren.
Gedenken bedeutet die Systematik hinter Unterdrückung, Mord und Ausbeutung zu erkennen und bennenen!
Es ist Imperialismus und rassistischer Faschismus, der damals, wie heute täglich ermordet, terrorisiert und dann schweigt.
Die deutsche und die schweizer Erinnerungskultur an die Shoah waren schon immer heuchlerisch und selbstinszenierend. Man sieht sich frei von Schuld und von Antisemitismus. Man tut so, als wäre Antisemitismus ein importiertes Problem, das sich durch Ausschaffungen lösen lässt. Wir sagen: Das ist rassistische Kackscheisse! Die Verortung von Antisemitismus beschränkt sich oftmals auf die Vergangenheit und interessiert sich nicht für die tatsächlichen Erfahrungen und Realitäten von Juden*Jüdinnen in ihrer gegenwärtigen Vielfalt. ...So ist es für uns nicht überraschend, dass sich “Aufarbeitungsweltmeister” Deutschland heute unkritisch hinter Israel stellt und sich eifrig gleich im nächsten Genozid zum Mitverantwortlichen macht. Da macht es nur Sinn, dass Deutschland die Anklage auf Genozid durch Süd-Afrika anfechtet und homogenisierend Anti-Zionismus mit Anti-Semitismus gleichsetzt. Doch damit schaden Sie genau auch denen, die sie vorgeben, schützen zu wollen. In ihrer bevormundenden Arroganz öffnen sie die Türen für Faschismus, Rassismus und Anti-Semitismus, der mit offenem Herzen von der neuen Rechten begrüsst wird.
Wir wollen nicht still beistehen und schweigen, während Israel mit der bedingungslosen Komplizenschaft der USA und Europa die Menschen in Gaza und im Westjordanland terrorisiert. Wir wollen heute nicht nur in die Vergangenheit blicken, während unsere palästinensischen Geschwister real in diesem Moment um ihr Überleben kämpfen müssen! Nie wieder, heisst Nie wieder für keinen Menschen!
An all die pro_israel schweizer Medien, liberale Zionist*innen und schweigenden Lifestyle-Linken.
Euer selektiver Humanismus kotzt uns an! Wir sehen eure Doppelmoral und wir entscheiden uns, nicht teil daran zu nehmen! Ein scheinheiliger Liberalismus, der vorgibt sich gegen Antisemitismus einzusetzen, aber bei genozidialen Angriffen auf People of Color schweigt, hilft uns Jüd*innen nicht, hilft niemandem!
Vereint gegen Unterdrückung wollen wir heute hier stehen, Schulter an Schulter gegen den Faschismus! Gegen Besatzung und Kolonialismus, Gegen Krieg und Genozid, für ein sicheres und blühendes jüdisches und muslimisches Leben überall! für ein freies Palästina für alle Menschen vom Jordan bis zum Mittelmeer!